Ils Fränzlis da Tschlin

Wie aus den Urfränzlis des 19. Jahrhunderts die heutigen «Fränzlis da Tschlin» wurden, ist nicht ganz einfach zu erklären. Wir versuchens aber trotzdem hier an dieser Stelle, in der längstmöglichen Kurzform:

Die Ur-Fränzlimusig

Die «Ur-Fränzlis», das war die jenische Familie Waser, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus der Innerschweiz ins Engadin eingewandert ist und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im ganzen Engadin aufspielte. Der berühmteste Spross der Wasers war Franz-Josef, aus Chaflur bei Strada: Klein von Statur, wurde er allenthalben «Fränzli» genannt, und da er blind geboren wurde und auf dem Bauernhof zum Nichtstun verurteilt war, konnte er seine musikalischen Talente ausleben.

Outdoorkonzert der Fränzlis (v.l.n.r: Franz-Anton Waser, Franz-Josef «Fränzli» Waser, Hans-Martin Neuhäusler, Seppli Vegn) vor versammelter Oberengadiner Prominenz (Von Flugi, Badrutt & Co.) in Pontresina, 1892.

Outdoorkonzert der Fränzlis (v.l.n.r: Franz-Anton Waser, Franz-Josef «Fränzli» Waser, Hans-Martin Neuhäusler, Seppli Vegn) vor versammelter Oberengadiner Prominenz (Von Flugi, Badrutt & Co.) in Pontresina, 1892.

Die Fränzlis spielten in der typischen, im ganzen Alpenraum verbeiteten Tanzmusikbesetzung des 19. Jahhunderts, bei der meist zwei bis drei Geigen mit Holz- und Blechblasinstrumenten und einem Kontrabass oder einem Bassett kombiniert wurden. Bis auf ein paar wenige Fotos und ein paar Einträge in Tauf- und Sterbebüchern ist nichts schriftlich überliefert über die alten Fränzlis. Die Tatsache, dass man sich aber bis weit ins 20. Jahrhundert hinein von den legendären Fränzlis erzählte, lässt darauf schliessen, dass sie nicht ohne Grund berühmt waren.

Von der Fränzlimusig zu den Fränzlis da Tschlin

Mit dem frühen Tod des Primgeigers Franz-Josef Waser am 24.12.1895 verloren die Wasers ihre legendäre Leitfigur und wohl auch ein bisschen den Schwung. Seine Brüder und Nachkommen spielten seine Stücke in verschiedenen Formationen noch bis in die 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts hinein, ohne den berühmten «Fränzli» war es aber wohl nicht mehr ganz so einfach. Ausserdem kam mit dem Siegeszug des Akkordeons ein neuer Volksmusik-Stil auf: Die Ländlermusik. Die «Fränzlismusig» kam langsam aber sicher aus der Mode. 

Eine der möglichen Ur-Fänzlimusigen, 1893: Franz Anton Waser, Klarinette; Barnabà Fontana, Cornet; Gian Nuolf, Geige; Matias Raffainer, Bassettl

Eine der möglichen Ur-Fänzlimusigen, 1893: Franz Anton Waser, Klarinette; Barnabà Fontana, Cornet; Gian Nuolf, Geige; Matias Raffainer, Bassettl

Die legendären «alten Fränzlis» gingen aber nie ganz in Vergessenheit, und so war es dann der Scuoler Sänger, Gitarrist und Geiger Men Steiner, der in den 1980er-Jahren zur Ergänzung einer Langspielplatte mit alten Engadiner Liedern den «alten» Fränzlistil wieder aufleben lassen wollte und Musikanten zusammentrommelte, die in der «Urfränzli-Besetzung» Engadiner Musik des ausgehenden 19. Jahrhunderts spielen sollten.

Die neuen Fränzlis – «Ils Fränzlis da Tschlin»: Duri Janett, Cornet; Domenic Janett, Klarinette; Men Steiner, Violine; Flurin Caviezel, Bratsche; Curdin Janett, Kontrabass

Die neuen Fränzlis – «Ils Fränzlis da Tschlin»: Duri Janett, Cornet; Domenic Janett, Klarinette; Men Steiner, Violine; Flurin Caviezel, Bratsche; Curdin Janett, Kontrabass

Men Steiner beauftragte Domenic Janett, diese Band zusammen zu stellen, und so spielten schliesslich Noldi Alder aus Appenzell, Flurin Caviezel aus Chur und Ramosch, und die Tschliner Brüder Curdin, Domenic und Duri Janett einige Stücke ein, von denen sie annahmen, dass der Franz-Josef (Fränzli) Waser sie schon gespielt hatte, in der Besetzung wie sie auf den alten Fotos noch zu sehen ist. Was als einmalige Zusammenkunft für die Schallplattenaufnahmen gedacht war, entwickelte sich zu einem Selbstläufer, der in einer Konzertkarriere mündete, die sich wohl keiner der «neuen Fränzlis» hätte träumen lassen. Nun mit Men Steiner an der Violine, ansonsten aber in der orginalen «Schallplattenbesetzung» von 1982, begann die Reise der «Fränzlis da Tschlin» durch die ganze Schweiz und die verschiedensten Musikstile.

Die Fränzlis 2006 – nun mit Madlaina Janett an der Bratsche – auf dem Dach des Hotel Waldhaus in Sils Maria

Die Fränzlis 2006 – nun mit Madlaina Janett an der Bratsche – auf dem Dach des Hotel Waldhaus in Sils Maria

Die schleichende Feminisierung der Fränzlis

Als 2001 Flurin Caviezel den Bratschistenposten bei den Fränzlis abgab, war Madlaina Janett (Curdins Tochter) die Frau der Stunde. Der Legende nach habe sie auf die Frage, ob sie bei den Fränzlis mitmachen wolle, erstmal im breitesten Thurgauerdeutsch «spinnsch enart!» ausgerufen. Nach viel gutem Zureden und einer ebenso lustigen wie effizienten Nachschlag-Lehre beim grossen Vorbild Caviezel, fügte sie sich aber ohne Probleme in die Männertruppe ein und muss heute nur noch selten zum Üben gezwungen werden. 

2012 ersetzte Cristina Janett mit dem Cello den Cornetisten Duri Janett.

2012 ersetzte Cristina Janett mit dem Cello den Cornetisten Duri Janett.

Madlainas Schwester Cristina am Cello musste weniger überredet werden, als dass sie durch verschiedene Umstände und Zufälle fast wie von selbst in die Band rutschte und Ende 2012 den Cornetisten Duri Janett ersetzte (dass man ein Cornet durch ein Cello ersetzen kann, überraschte sogar die Fränzlis selbst, und das Resultat dieses Wechsels kann man im Walzer «Olga an der Wolga» hören).

2014 haben die Frauen die Männer anteilsmässig überholt: Anna Staschia Janett (ganz rechts) ersetzt Men Steiner an der Geige.

2014 haben die Frauen die Männer anteilsmässig überholt: Anna Staschia Janett (ganz rechts) ersetzt Men Steiner an der Geige.

Der letzte Besetzungswechsel erfolgte 2014, als das Gründungsmitglied Men Steiner seinen Rücktritt gab und Domenics Tochter Anna Staschia den Geigenpart übernahm. Ob und wie sich die schleichende Feminisierung der Fränzlis musikalisch und gruppendynamisch auswirkt, wird sich weisen. Tönen tuts jedenfalls nach wie vor «schmaladi bun», wie der gemeine Unterengadiner zu sagen pflegt.

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